Wer derzeit durch die Kärntner Fußballlandschaft streift, erlebt eine stille, aber tiefgreifende Erschütterung. Reihenweise verschwinden Kampfmannschaften von der Bildfläche, Vereinsnamen, die jahrzehntelang für Stolz, Rivalität und Gemeinschaft standen, tauchen plötzlich nur noch in Nachwuchstabellen auf – oder gar nicht mehr. Es scheint, als würde sich der Amateurfußball selbst abschaffen.
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Was sich wie ein düsteres Märchen anhört, ist längst harte Realität – und das nicht nur in Kärnten. Auch in anderen Bundesländern bröckelt die Basis des Amateurfußballs, zuletzt traf es etwa Union Innsbruck in Tirol. In Kärnten verschwinden traditionsreiche Vereine wie der FC Hermagor, SV St. Margareten im Rosental, BW Sachsenburg, der einst stolze Villacher SV oder der SV Stockenboi aus dem aktiven Ligabetrieb. Und das sind keine Einzelfälle: Mehr als 60 Vereine haben in Kärnten inzwischen ihre Kampfmannschaften abgemeldet oder gleich ganz aufgelöst.
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Aktive und inaktive Vereine
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Was passiert beim SV St. Jakob?
Der SV St. Jakob, frisch abgestiegen aus der Kärntnerliga und nach der Trennung von Trainer Suppantschitsch und Turbolenzen im Vorstand nun im freien Fall, schwebt zwischen Existenz und Exil. Ob es in der 2. Klasse weitergeht oder das letzte Licht gelöscht wird? Vereinschef Hannes Pecnik gibt sich kryptisch: „Noch nicht.“ Klingt mehr nach Galgenhumor als nach Plan.
Fußball als Hobby? Nur mit Preisetikett
Doch woran liegt’s? Die Gründe lesen sich wie das Inhaltsverzeichnis einer griechischen Tragödie – nur ohne Helden. Spieler in Amateurligen verlangen Gagen, als würden sie am Montag in der Nations League auflaufen, nicht am Sonntag im Bezirksderby. Wer zahlt, darf kicken. Wer nicht, verschwindet. So einfach – und so bitter.
Dazu kommt das Legionärs-Phänomen: Spieler reisen an, spielen, reisen wieder ab. Auf dem Spielfeld präsent, im Vereinsleben unsichtbar. Kein Bezug zur Region, kein Draht zur Kabine, kein echter Kitt für die Gemeinschaft.
Viele Fans rufen nach „Heimischen“, doch gemeint sind längst nicht nur die Burschen aus dem Ort, sondern österreichische Spieler im Allgemeinen. Nur: Auch die lassen sich ihr Hobby zunehmend vergolden. Da wirkt es fast nachvollziehbar, dass Vereine auf günstigere ausländische Spieler zurückgreifen – selbst wenn dabei das Gefühl bleibt, ein Team aus Mietspielern aufs Feld zu schicken.
Und genau da liegt das Kernproblem: Vereine ohne regionale Identität verlieren ihre Wurzeln – und mit ihnen die letzten treuen Zuschauer auf der Tribüne.
Was bleibt, sind halbleere Plätze, sowohl auf dem Feld als auch auf den Rängen. Ohne Herzblut, ohne Bezug zur Region, verliert der Fußball auf dem Land seine Seele. Ein Sonntag ohne Spiel, das früher Treffpunkt für drei Generationen war, ist plötzlich nur noch ein Sonntag.
Die neue Geografie des Dilemmas
Ein weiterer Punkt, der derzeit für Gesprächsstoff sorgt, ist die neue Ligeneinteilung mit den drei Unterligen – West, Mitte, Ost. Die Idee dahinter ist eigentlich bestechend logisch: kürzere Anfahrten, mehr regionale Duelle, weniger logistischer Aufwand. Doch wie bei jeder Reform gilt: Der Start ist selten fehlerfrei. Vor allem im ersten Jahr der Umsetzung zeigt sich, dass Theorie und Praxis nicht immer deckungsgleich sind.
Was viele übersehen: Der Verband kann die Einteilung überhaupt erst dann vornehmen, wenn die Meisterschaft abgeschlossen ist und alle Auf- und Absteiger feststehen. Alles andere wäre Kaffeesudlesen mit Tabellen. Hinzu kommt: Die Zuteilung erfolgt nicht im Hinterzimmer, sondern im laufenden Dialog mit den Vereinen. Es wird gehört, diskutiert – und oft auch auf Wünsche Rücksicht genommen. Wer nur zum Beispiel ein Derby Feldkirchen gegen Sirnitz auf Biegen und Brechen erhalten will, findet im Verband offene Ohren.
Und dennoch: In sogenannten Grenzgebieten wird es immer Zuordnungen geben, die nicht allen passen. Da gibt es keine ideale Lösung – nur Kompromisse. Die Vorstellung, die man oft hört, der Verband würde willkürlich oder aus Eigeninteresse agieren, ist nicht nur unbegründet, sondern widersinnig. Was hätte jemand davon, wenn Vereine unzufrieden abspringen?
Das Problem liegt woanders: Spielpläne und Ligeneinteilungen stehen oft erst sehr spät fest – das erschwert die Planung enorm. Besonders für Hobbykicker, die neben dem Platz auch noch Familie und Beruf jonglieren, ist das ein echter Hemmschuh. Planbarkeit ist kein Luxus, sondern Grundbedingung.
Reformen brauchen Zeit, transparente Kommunikation und Vertrauen. Und das entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch konsequentes Weiterentwickeln. Der erste Schritt ist gemacht – jetzt geht’s darum, daraus auch einen gangbaren Weg zu formen.
Hoffnung in der Jugend, Aufbruch in der Provinz
Doch ganz am Boden liegt der Amateurfußball noch nicht. Viele Klubs, die ihre Kampfmannschaften abgemeldet haben, konzentrieren sich bewusst auf Nachwuchsarbeit – ein leiser, aber hoffnungsvoller Neustart. Denn ohne Nachwuchs kein Fortbestand. “Lieber eine ehrliche Jugendmannschaft als ein zusammengekauftes Alibi-Team”, lautet der neue Ehrenkodex.
Und: Es gibt sie noch, die Mutigen. Der SV Stockenboi, SV St. Egyden, der HSV Klagenfurt, Magdalensberg schon fix, sogar der einst so ruhmreiche SV Dellach/Drau – denkt laut über ein Comeback nach. In Sachsenburg wird derweil im Frauenfußball investiert, wo unter Stefan Wallner neue Dynamik entsteht. Vielleicht ist das der Weg: kleine Schritte, echte Visionen.
Was bleibt vom Fußball, wenn das Dorf verschwindet?
Der Amateurfußball war nie nur Sport. Er war ein gesellschaftlicher Kitt, Treffpunkt, Gesprächsstoff. Wenn die Kampfmannschaft stirbt, stirbt oft auch ein Teil des Ortes. Umso wichtiger wäre jetzt: ein Umdenken bei Spielern, bei Funktionären – und bei den regionalen Verbänden. Nicht alles muss wachsen, aber vieles muss wieder ehrlicher werden. Denn wer glaubt, dass 2. Klasse ohne Zuschauer und Identifikation mit Geld zu kompensieren ist, der hat den Fußball nie verstanden.
Der Ball rollt vielleicht langsamer, aber das Spiel ist noch nicht verloren. Noch nicht.